Donnerstag, 21. Dezember 2017

"Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen." Aristoteles (angeblich)

 
Pseudo-Aristoteles-Zitat.
Dieser Aphorismus ist  in verschiedenen Versionen seit dem 19. Jahrhundert in englischsprachiger Literatur verbreitet und wird erst im 21. Jahrhundert Aristoteles unterschoben.  

Wahrscheinlich wurde der Aphorismus 1859 von der 19jährigen Spiritualistin Cora L. V. Hatch   geprägt (Quote Investigator, Link).

In den Werken von Aristoteles ist der Spruch weder so noch so ähnlich so wenig zu finden wie in seriösen Nachschlagwerken zu Aristoteles.

Der "Wind" kommt seit biblischen und klassischen Zeiten metaphorisch in vielen Redensarten und Sprichwörtern vor, in der Kunstgeschichte symbolisiert er in der Renaissance im Zusammenhang mit aufgeblähten Segeln und dem Steuermann das Schicksal.

Walter Benjamin:
  • "Für den Dialektiker kommt es darauf an, den Wind der Weltgeschichte in den Segeln zu haben. Denken heißt bei ihm: Segel setzen. Wie sie gesetzt werden (-) das ist wichtig. Worte sind seine Segel. Wie sie gesetzt werden, das macht sie zum Begriff."
    Walter Benjamin, Das Passagen-Werk (Link)

Paul Tillich:
  • "In der Symbolik der Renaissancekunst wird das Schicksal durch den Wind dargestellt, der die Segel eines Schiffes aufbläst, während der Mensch am Steuer steht und die beabsichtigte Richtung soweit wie möglich einzuhalten sucht."
    Paul Tillich, Der Mut zum Sein (Link)
1859, Cora L. V. Hatch :
  • "You could not prevent a thunderstorm, but you could use the electricity; you could not direct the wind, but you could trim your sail so as to propel your vessel as you pleased, no matter which way the wind blew."
    Cora L. V. Hatch, 1859, Quote Investigator (Link)

Varianten:
  •  "As someone has said: we cannot direct the wind but we can adjust the sails."
  • "Like Mahatma Ghandi, 'we can't change the wind but we can adjust the sail'."
2010
  • Wir können dem Wind keine Befehle erteilen, aber wir können unsere Segel neu setzen und die Richtung ändern.  (anonym)
  • Sie können den Wind nicht ändern, aber Sie können versuchen, die Segel anders zu setzen.  (Deutsche Bootsweisheit) (Link)
  • "Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen." Aristoteles  (Link)
2012
  • "Man kann den Wind nicht ändern, aber die Segel neu setzen."
2013
  • "Man kann den Wind nicht ändern, aber die Segel richtig setzen. (Quelle unbekannt)" (Link) 
  • "Wir können den Wind nicht lenken, aber wir können die Segel anpassen. Dolly Parton. "

Auch Garson O'Toole hat in seiner gründlichen Dokumentation der englischsprachigen Geschichte dieses Spruchs (Link) keinerlei Beziehung zu Aristoteles herausgefunden.

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Google
Google Books
Garson O'Toole (Quote Investigator): "We Cannot Direct the Wind, But We Can Adjust the Sails:  Cora L. V. Hatch? Thomas Sheridan? George Whyte-Melville? A. B. Kendig? Ella Wheeler Wilcox? Bertha Calloway? Jimmy Dean? Dolly Parton? Thomas S. Monson?" 2017,  (Link)

Frühe falsche Zuschreibungen an Aristoteles:
2005 (Link)
Google Books  

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Dank:
Dank an "Weltgeist is a bitch" für den Hinweis auf das Falschzitat und Garson O'Toole für seinen gründlichen Artikel darüber.

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Artikel in Arbeit.

Freitag, 15. Dezember 2017

"GOTT ist immer in uns, nur wir sind selten zu Hause." Meister Eckhart (angeblich)

  • "Gott ist immer in uns, nur wir sind so selten zuhause."
  • "Gott ist immer in uns, nur leider sind wir selten zu Hause."
Diese Meister-Eckhart-Zitate aus dem 21. Jahrhundert paraphrasieren einen Gedanken aus Meister Eckharts Predigten:
  • "Gott ist in uns daheim, wir sind draußen."
  • "Gott ist in uns daheim, wir aber sind in der Fremde." 
  • "Gott ist allzeit bereit, aber wir sind sehr unbereit; Gott ist uns nahe, aber wir sind ihm ferne; Gott ist drinnen, aber wir sind draussen; Gott ist zu Hause, aber: wir sind in der Fremde."
    (Got ist alzit bereit, mer: wir sin sere unbereit; got ist uns nähe, mer: wir sin im sere so verre; got ist inne, mer: wir sin uze; got ist heimelich, mer: wir sin vremde.)    

    Meister Eckharts mystische Schriften. Übertragen von Gustav Landauer, Karl Schnabel,
    Berlin: 1903, S. 111 (Link)

Andere Übersetzungen:

  • "Gott ist uns nahe, wir sind ihm fern; Gott ist drinnen, wir sind draußen; Gott ist in uns daheim, wir aber sind in der Fremde."
    Meister Eckhart: Predigt 36
  • "Gott ist uns „nahe“, wir aber sind ihm fern; Gott ist drinnen, wir aber sind draußen; Gott ist (in uns) daheim, wir aber sind in der Fremde."
    Meister Eckhart: Predigt 36

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Quellen:
Meister Eckharts mystische Schriften. Übertragen von Gustav Landauer, Karl Schnabel, Berlin: 1903, S. 111, Zeno.org (Link)
  • "Es begehrte nie ein Mensch so sehr nach einer Sache, als Gott begehrt, den Menschen dazu zu bringen, ihn zu erkennen. Gott ist allzeit bereit, aber wir sind sehr unbereit; Gott ist uns nahe, aber wir sind ihm ferne; Gott ist drinnen, aber wir sind draussen; Gott ist zu Hause, wir sind in der Fremde. Der Prophet spricht: »Gott führt die Gerechten durch einen engen Weg in die breite Strasse, dass sie in die Weite und in die Breite kommen, das heisst: in wahre Freiheit des Geistes, der ein Geist mit Gott geworden ist.« Dass wir ihm alle folgen, dass er uns in sich bringe, das walte Gott. Amen."
    Meister Eckharts mystische Schriften. Übertragen von Gustav Landauer, Karl Schnabel,
    Berlin: 1903, S. 111 (Link)

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Artikel in Arbeit.







(Link)



„Nie hat ein Mensch nach irgendetwas so sehr begehrt, wie Gott danach begehrt, den Menschen dahin zu bringen, dass er erkenne, wie nahe ihm Gott ist. Gott ist allzeit bereit, wir aber sind sehr unbereit; Gott ist uns nahe, wir sind ihm fern; Gott ist drinnen, wir sind draußen; Gott ist in uns daheim, wir aber sind in der Fremde.“
Predigt 36

»Gott ist allzeit bereit, wir aber sind sehr unbereit; Gott ist uns „nahe“, wir aber sind ihm fern; Gott ist drinnen, wir aber sind draußen; Gott ist (in uns) daheim, wir aber sind in der Fremde« (Meister Eckhart: Predigt 36)



In unserm tiefsten Innern da will Gott bei uns sein, wenn er uns zu Hause findet und nicht die Seele ausgegangen ist mit den fünf Sinnen zu sponsieren (102, 15). 
1868 (Link) 

Wer in allen Räumen zu Hause ist, der ist Gottes würdig, und wer in allen Zeiten eins bleibt, dem ist Gott gegenwärtig, undinwemalle Kreaturen zum Schweigen gekommen sind, in dem gebiert Gott seinen eingeborenen Sohn 


(Link)  

Donnerstag, 14. Dezember 2017

"Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten." Albert Einstein (angeblich)

Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.
Albert Einstein wurde dieses Zitat Jahrzehnte nach seinem Tod erstmals zugeschrieben. Einstein-Expertinnen wie Alice Calaprice oder Barbara Wolff haben es in keiner seiner Schriften gefunden (Link).

Die Evolution dieses Spruchs beginnt vor 120 Jahren in psychologischer und psychiatrischer Literatur. "Zwangshandlungen" sind unsinnige Wiederholungen und gehören zum Krankheitsbild von "Zwangsstörungen" und Sigmund Freud erkannte im "Wiederholungszwang" einen bedeutenden psychischen Mechanismus.

Garson O'Toole hat die früheste schriftliche Erwähnung einer Version dieses Spruchs in einem Dokument der Narcotics Anonymous aus dem Jahr 1981 entdeckt:
  • "The price may seem higher for the addict who prostitutes for a fix than it is for the addict who merely lies to a doctor, but ultimately both pay with their lives. Insanity is repeating the same mistakes and expecting different results."
       Unbekannter Autor, Narcotics Anonymous organization, 1981, (Link)
1983 kommt der Spruch in Rita Mae Browns Roman "Sudden Death" (deutsch: "Die Tennisspielerin") vor; 'Jane Fulton' ist eine Figur in diesem Roman:
  • "Unfortunately, Susan didn’t remember what Jane Fulton once said. 'Insanity is doing the same thing over and over again, but expecting different results'." 
  • "Wahnsinn ist, wenn man immer wieder das Gleiche tut, aber andere Resultate erwartet."
         Rita Mae Brown, 1983, deutsch: 1995 (Link)

Seit 1990 wird dieses inzwischen sehr weit verbreitete Zitat Albert Einstein, alten Chinesen, Benjamin Franklin und vielen anderen unterschoben.


Einige Varianten des Kuckuckszitats:

  • "Insanity: doing the same thing over and over again and expecting different results." 
  • "Insanity is repeating the same mistakes and expecting different results".
  • "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten."
  • "Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert." 
  • "Verrückt ist der, der immer die gleichen Dinge tut, aber andere Ergebnisse erwartet".








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Quellen: 
Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011, S. 474 (Link)
Ralph Keyes: "The Quote Verifier: Who Said What, Where, and When." St. Martin's Griffin, New York: 2006, S. 98f. (Link)
Rita Mae Brown: "Sudden Death." Bantam Books, New York:1983, S. 68 (Zitiert nach Garson O'Toole)
Rita Mae Brown: "Die Tennisspielerin." Rowohlt Verlag, Reinbek: 1995
Dominik Lagushkin: Über wiederverwendete Zitate, 2013 (Link)
Garson O'Toole (Quote Investigator): "Insanity Is Doing the Same Thing Over and Over Again and Expecting Different Results - Albert Einstein? Narcotics Anonymous? Max Nordau? George Bernard Shaw? George A. Kelly? Rita Mae Brown? John Larroquette? Jessie Potter? Werner Erhard?", 2017 (Link)

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Tassilo Wallentin: "Viel Lärm um nichts", Kronen Zeitung, 8. Juli 2018 (Link)
Anetta Kahane: "Der Wahnsinn der Einwanderungspolitik", Berliner Zeitung, 26. März 2018 (Link) 
platinnetz.de
Google News
Google Books  
 
Insanity: doing the same thing over and over again and expecting different results.
Read more at: https://www.brainyquote.com/quotes/quotes/a/alberteins133991.html
Insanity: doing the same thing over and over again and expecting different results.
Read more at: https://www.brainyquote.com/quotes/quotes/a/alberteins133991.html

Mittwoch, 13. Dezember 2017

"Das tiefste und erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind, ist das Erlebnis des Mystischen." Albert Einstein (angeblich)

Entstelltes Einstein-Zitat.
Dieses entstellte Zitat entstand aus der Rückübersetzung eines Satzes von Albert Einstein aus dem Englischen und hat einige exaltierte Interpretationen über Einstein als Mystiker verursacht (Link).  

Aus dem ursprünglichen Satz von Albert Einstein, "Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle", wurde die pathetische Aussage, "Das tiefste und erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind, ist das Erlebnis des Mystischen".

Ursprünglich lautet der Satz von Albert Einstein in "Wie ich die Welt sehe", 1931:
  • "Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen."
       Albert Einstein: Mein Weltbild. Hrsg. von Carl Seelig. Europa Verlag, Zürich Wien: 1953, S. 10 (Link)
    Erstdruck (nach Carl Seelig): "Forum and Century," vol. 84, pp. 193-194; Living Philosophies, Bd. 13, New York 1931

In der englischen Übersetzung von 1931:
  • "The fairest thing we can experience is the mysterious. It is the fundamental emotion which stands at the cradle of true art and true science. He who knows it not and can no longer wonder, no longer feel amazement, is as good as dead, a snuffed-out candle. It was the experience of mystery—even if mixed with fear—that engendered religion."
        Albert Einstein,  Übersetzung von
    Alan Harris, 1931 (Link)
Übersetzung 1954:
  • "The most beautiful experience we can have is the mysterious. It is the fundamental emotion which stands at the cradle of true art and true science. Whoever does not know it and can no longer wonder, no longer marvel is as good as dead, and his eyes are dimmed."
        Albert Einstein, Übersetzung von Sonja Bargmann, 1954
    Albert Einstein: Ideas and Opinions, based on Mein Weltbild, hrsg. von Carl Seelig, Bonzana Books,
    New York: 1954 
Allerdings gibt es noch eine andere deutsche Variante dieses Satzes, die von der gedruckten Fassung aus dem Essay "Wie ich die Welt sehe" etwas verschieden ist. Albert Einstein hat diese Fassung, die auch kürzer als der Essay ist,  mit dem Titel "Mein Glaubensbekenntnis" zugunsten der "Deutschen Liga für Menschenrechte" auf Schallplatte gesprochen.
Albert Einstein: "Mein Glaubensbekenntnis", Schellackplatte, September/Oktober 1932:
Youtube 3:05

      

  • "Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder."
    Albert Einstein: Mein Glaubensbekenntnis 1932 (Link)
Das Manuskript zur Schallplattenaufnahme wird auf 1932 datiert. Albert Einstein scheint es nicht gestört zu haben, dass er zwei verschiedene Fassungen über "das Schönste, was der Mensch erleben kann" hinterlassen hat.
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Quellen:
Hans-Josef Küpper: Einstein's Credo, mit einer Transkription des Manuskripts,  Einstein-Website.de, 2000-2016, (Link)
Albert Einstein: "Mein Glaubensbekenntnis", Schellackplatte, September/Oktober 1932: Youtube  (Link)
Albert Einstein: Ideas and Opinions, based on Mein Weltbild, hrsg. von Carl Seelig, Bonzana Books, New York: 1954, S. 11
Albert Einstein: Mein Weltbild. Hrsg. von Carl Seelig. Europa Verlag, Zürich Wien: 1953, S. 10 (Link) 
Albert Einstein: "Wie ich die Welt sehe" Erstdruck (nach Carl Seelig): "Forum and Century," vol. 84, pp. 193-194; Living Philosophies, Bd. 13, New York 1931
(Datierungen müssen noch überprüft werden.) 
 Juttas Zitateblog: "Über Einsteins Worte 'Wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfurcht verlieren kann, ist seelisch bereits tot'",  2011 (Link)
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Dank:
Die Dokumentation auf  Juttas Zitateblog war sehr hilfreich.

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Artikel in Arbeit.


    "Ein Druckfehler ist wichtig, weil er den Entdecker stolz macht, dass er ihn gefunden hat." Karl Kraus

    Pseudo-Karl-Kraus quote.
    Dieses Scherzlein gibt es seit 2013 als Postkarte (Link), und es hat mit Karl Kraus, dem Herausgeber und Autor der 'Fackel', gar nichts zu tun.

    Für die Postkarte ist Thomas Howeg verantwortlich, der den Spruch vielleicht auch geprägt hat.
     _______
    Quellen:
    Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL von Karl Kraus (digitale Edition)
    Edition Howeg, Zürich: 2013  (Link)

    "Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was repräsentiert dann ein leerer Schreibtisch?" Albert Einstein (angeblich)

    • "Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was sagt dann ein leerer Schreibtisch über den Menschen, der ihn benutzt, aus?"
    •  "Wenn ein unordentlicher Schreibtisch ein Zeichen für einen unordentlichen Geist ist, was sollen wir dann von einem leeren Schreibtisch denken?"
    • "Wenn ein unordentlicher Schreibtisch ein Zeichen für einen unordentlichen Geist ist, worauf weist dann ein leerer Schreibtisch hin?"
    • "If a Cluttered Desk Is a Sign of a Cluttered Mind, We Can’t Help Wondering What an Empty Desk Indicates."
    • "If a cluttered desk is a sign of a cluttered mind, of what, then, is an empty desk a sign?"
    Das ist ein Einstein-Zitat aus dem 21. Jahrhundert, das noch niemand (Link), (Link) in einem Text von Albert Einstein gefunden hat. Es steht auch nicht in seriösen Nachschlagwerken wie in dem 'Ultimate Quotable Einstein' von Alice Calaprice.

    Es ist also ein Falschzitat.

    Der Witz hat sich offensichtlich aus Sprichwörtern wie, "Tidy desk, tidy mind" oder, "A disordered desk is an evidence of a disordered brain and a disordered character", entwickelt und wird manchmal gleichzeitig mit dem Aphorismus, "Ordnung braucht nur der Dumme, das Genie beherrscht das Chaos", der auch Albert Einstein unterschoben wird, zitiert.

    Garson O'Toole ist der englischsprachigen Vorgeschichte dieses Spruchs ausführlich nachgegangen (Link)
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    Google
    Barry Popik: “If a cluttered desk is a sign of a cluttered mind, of what, then, is an empty desk a sign?” 2013  (Link)
    Garson O'Toole (Quote Investigator): "If a Cluttered Desk Is a Sign of a Cluttered Mind, We Can’t Help Wondering What an Empty Desk Indicates  Albert Einstein? Truman Twill? Lyndon B. Johnson? Laurence J. Peter? Paul A. Freund? Anonymous?" 2017 (Link)  

    Falsche Zuschreibungen:
    In vielen Online-Zitatsammlungen:  Google

    Dienstag, 12. Dezember 2017

    "Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub." Pseudo-Franz-Kafka-Zitat

    Pseudo-Franz-Kafka-Zitat. 
    Dieses beliebte Pseudo-Franz-Kafka-Zitat ist erst im 21. Jahrhundert - also etwa 80 Jahre nach Kafkas Tod - entstanden.
    Es ist ein Kuckuckszitat, weil es in keinem Werk Franz Kafkas, in keinem seriösen Nachschlagwerk und in keinem digitalisierten Text vor dem 21. Jahrhundert zu finden ist und immer ohne Quellenangabe zitiert wird.

    Das Zitat tauchte ohne Zuschreibung an Franz Kafka im Mai 2008 in den Sozialen Medien erstmals auf und wurde auf Twitter und Facebook ein paar Mal wiederholt bis es im Juli 2009 erstmals Franz Kafka untergeschoben wurde.

    Schon ein paar Jahre später war dieses falsche Kafka-Zitat auch bei Journalistinnen und Autoren in Zeitungen und Büchern beliebt, besonders aber bei Werbeagenturen von Firmen, die Kaffee verkaufen.


    Chronologie der Vorgeschichte des Kuckuckszitats:


    Eine unbekannte Person mit dem Twitter-Namen "deeli" könnte am 26. Mai 2008 das Zitat geprägt haben:

    26. Mai 2008
    • das kaffee dehydriert ist nicht wahr. sonst wäre ich nur staub. (Twitter/deeli)
    Mit leichten Veränderungen des Wortlauts wurde das Zitat auf Twitter und Facebook in den folgenden Monaten wiederholt:

    18. März 2009
    • kaffee dehydriert nicht, ich wäre sonst schon staub. (Twitter)
    6. März 2009
    • An dieser Stelle möchte ich mit einem bösen Vorurteil aufräumen: Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub 🙂 
       anonyme kaffeeoholiker, Claudia Lux,  (facebook.com)

    14. Mai 2009

    Erste Zuschreibungen des Zitats an Franz Kafka:


    11. Juli 2009

    22. September 2009

    Seit dem Jahr 2013 gibt es dieses Pseudo-Kafka-Zitat auch auf Englisch:
    • "Coffee does not dehydrate. Otherwise I'd be dust by now. Franz Kafka (1883 - 1924)"

    Pseudo-Franz-Kafka-Zitat. 
    "
    __________
    Quellen:
    Google
    Twitter

    Beispiele für falsche Zuschreibungen:

    2009: 11. Juli 2009, 12:50 nachm. @PalmaKunkel  Twitter (frühe Zuschreibung) 
    Karen Nieber: "Schwarz und stark. Wie Kaffee die Gesundheit fördert." Hirzel, Stuttgart: 2013. Verlagsanzeige: (Link)
    _______
    Ich danke Nicole delle Karth für den Hinweis auf das Falschzitat sowie Roland Reuß für die Bestätigung, dass dieses Zitat in Franz Kafkas Schriften nicht zu finden ist.

    Letzte Änderung: 1/10 2019; 20/3 2021, 29/4 2023

    Sonntag, 10. Dezember 2017

    "Und plötzlich weißt du: Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen." Meister Eckhart (angeblich)

    Pseudo-Meister-Eckhart-Zitat.
    Dieser Spruch wird auf hunderten Webseiten, seit ein paar Jahren auch auf Englisch, dem mittelalterlichen christlichen Denker Meister Eckhart unterschoben. Der Spruch ist aber weder in seinen Schriften noch in einem seriösen Nachschlagwerk oder in einem digitalisierten Text vor dem 21. Jahrhundert zu finden.  

    "And suddenly you know: It's time to start something new and trust the magic of beginnings."  Pseudo-Meister-Eckhart
    Pseudo-Meister-Eckhart-Zitat.
    Bei Google Books taucht das Zitat 2004 das erste Mal (Link) auf.

    Das Zitat ist also ein Falschzitat. Wer es geprägt hat und durch welchen Irrtum es Meister Eckhart zugeschrieben wurde, wissen wir nicht.

    Es ist wahrscheinlich in Anspielung auf Hermann Hesses berühmte Verszeile, "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne",  aus dessen Gedicht "Stufen", das auch in seinem Roman "Das Glasperlenspiel" enthalten ist, entstanden (Link).
     
    • "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
      Der uns beschützt und der uns hilft zu leben."

      Herman Hesse, "Stufen", 1941

      (Link)

    Pseudo-Meister-Eckhart-Zitat.

    ___________
    Quellen:
     Google Statistik:  "Ungefähr 46 400 Ergebnisse" (Die Google-Zählung ist in letzter Zeit sehr ungenau.)
    Dieses Zitat wird in vielen unseriösen Online-Zitatsammlungen und Managementratgebern fälschlich Meister Eckhart zugeschrieben (Google), zum Beispiel in, Aphorismen.de oder  Gutezitate.de.
    Wikipedia: "Stufen" von Hermann Hesse.
    (Link)
    ______
    Dank:
    Ich danke Eduard Habsburg für den Hinweis auf dieses falsch zugeschriebene Zitat.

    Freitag, 8. Dezember 2017

    "Manche Menschen sehen die Dinge, wie sie sind, und fragen: 'Warum?' Ich wage von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: 'Warum nicht?'" Robert Browning (angeblich)

    Book title.
    Dieses Zitat wird seit ein paar Jahren irrtümlich Robert Browning zugeschrieben; es stammt von George Bernard Shaw und wurde durch Robert Kennedy in Amerika populär.

    Der englische Dichter und Dramatiker Robert Browning hat mit diesem Zitat nichts zu tun, auch wenn es ihm wie durch ein Schneeballsystem immer öfter auf hunderten deutschsprachigen Webseiten, in unseriösen Zitatsammlungen und von Autoren wie Richard David Precht (Link) unterschoben wird.

    Ein Beispiel:
    • "Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat seinen Vorstoß für die Umwandlung der Europäischen Union in die Vereinigten Staaten von Europa gegen Kritik aus der Union verteidigt. Beim SPD-Parteitag in Berlin antwortete er den Skeptikern mit einem Zitat des englischen Dichters Robert Browning. „Ich wage von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: Warum nicht?“ Schulz fügte hinzu: 'Lasst uns in diesem Sinne die Vereinigten Staaten von Europa schaffen.'"
            Der Tagesspiegel, 8. Dezember 2017  (Link)

     Robert Kennedy, 1968
    • "George Bernard Shaw schrieb einmal: 'Es gibt Menschen, die sehen die Dinge wie sie sind und sagen, warum? Ich träume Dinge, die nie waren und sage, warum nicht?'"
           Robert Kennedy, 18. März 1968
    Das Robert-Kennedy-Shaw-Zitat ist in mehreren Versionen überliefert und wird heute oft auch ohne seine Zuschreibung an Shaw zitiert.
    • "Manche Menschen sehen die Dinge, wie sie sind, und fragen: »Warum?« Ich wage, von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: »Warum nicht?«"
           Robert Kennedy, 1968
      (2008) (Link)
    Geprägt hat das Zitat ohne Zweifel George Bernard Shaw für das erste Drama seines fünfteiligen Werks "Back to Methuselah", das im Garten Eden im Jahr 4004 vor Chr. spielt. Die Schlange im Paradies sagt den fraglichen Satz zu Eva (Link).

    John F. Kennedy und Robert F. Kennedy haben bei ihren Shaw-Zitaten diesen Kontext nie erwähnt und den Satz der Schlange etwas verändert.

     

    1921, George Bernard Shaw


    • "THE SERPENT. If I can do that, what can I not do? I tell you I am very subtle. When you and Adam talk, I hear you say 'Why?' Always 'Why?' You see things; and you say 'Why?' But I dream things that never were; and I say 'Why not?' I made the word dead to describe my old skin that I cast when I am renewed. I call that renewal being born."
           George Bernard Shaw: Back to Methuselah. A Metabiological Pentateuch, 1921, Part I, Act I (Link)

    1963, John F. Kennedy

    • "George Bernard Shaw, speaking as an Irishman, summed up an approach to life, 'Other people', he said 'see things and ... say: Why? ... But I dream things that never were—and I say: why not?' ... The problems of the world cannot possibly be solved by skeptics or cynics, whose horizons are limited by the obvious realities. We need men who can dream of things that never were, and ask why not.”
           John F. Kennedy, 28. Juni 1963, Address Before the Irish Parliament in Dublin (Link)

    1968, Robert F. Kennedy

    • "George Bernard Shaw once wrote, 'Some people see things as they are and say why? I dream things that never were and say why not?'"
           Robert Kennedy, 18. März 1968, University of Kansas, Youtube 30:33

     

       
       

    1968, Edward Kennedy

    •  "As he (Robert Kennedy)  said many times, in many parts of this nation, to those he touched and who sought to touch him: 'Some men see things as they are and say why? I dream things that never were and say why not?'"
           Edward Kennedy, 8. Juni 1868, Address at the Public Memorial Service for Robert F. Kennedy, New York (Link)

     2004, Barack Obama

    • "In the end, that is god's greatest gift to us, the bedrock of this nation; the belief in things not seen; the belief that there are better days ahead."
           Barack Obama,
      24. Juli 2004, Boston (Link)
    ________ 
    Quellen: 
    George Bernard Shaw: Back to Methuselah. A Metabiological Pentateuch, 1921, Part I, Act I, Project Gutenberg (Link)
    John F. Kennedy: Address Before the Irish Parliament in Dublin, 28. Juni1963 (Link)
    Robert F. Kennedy: Rede, University of Kansas, 18. März 1968, Tonbandaunahme, Youtube, 30:33  (Link)
    Edward Kennedy: Address at the Public Memorial Service for Robert F. Kennedy, New York, 8. Juni 1968 (Link)
    Ralph Keyes: "The Quote Verifier: Who Said What, Where, and When." St. Martin's Griffin, New York: 2006, S. 248 (Link)
    Werner Katzengruber: "Einfach erfolgreich", Gräfe und Unzer, München: 2008, S. 160 (Link)
    Wolfgang Mieder: “Yes we can”: Barack Obama’s proverbial rhetoric. Peter Lang, New York: 2009, S. 112 (Link)
    Wikiquote (Mit einer anderen Version von Robert Kennedys Zitat.)

    Falsche Zuschreibungen:
    2004 (Link); Deutsch seit 2009 (Link); (Link) Google 
    Aphorismen.de
    Zitate-online.de 
    Richard David Precht: Vortrag zum Thema „Bildungsrevolution“, regionalWolfenbüttel.de, 29. September 2014 (Link) 
    Iris Seidenstricker: Der kleine Taschencoach: Zufriedener arbeiten - glücklicher leben", dtv digital, München: 2016, ebook   (Link)
    Martin Schulz, 8. Dezember 2017, Der Tagesspiegel, 8. Dezember 2017  (Link); zitiert in über 100 anderen Zeitungen: Google
     ________
    Dank:
    Tobias Blanken hat mich auf dieses Zitat aufmerksam gemacht. Danke.